Kennt ihr diese Filme, wo sich jemand wünscht, sie oder er wäre anders oder auch jemand anderes? Älter, jünger, schöner, reicher etc.? In der US-Komödie „Switch“ aus den 90ern wacht ein Bilderbuch-Chauvie plötzlich im Körper einer Frau auf. Zwei Jahrzehnte vorher hatten sich in „Freaky Friday“ Mutter und Tochter gewünscht, sie steckten in der Haut der anderen – was dann auch prompt geschah. Und in „Mr. Destiny“ wird James Belushi durch eine magische Änderung eines winzigen Details in seiner Vergangenheit plötzlich zu dem (erfolg)reichen Mann, der er immer sein wollte.
Ich habe diese Filme früher geliebt! Egal wie trashig sie oft waren, ich war einfach fasziniert davon. Den größten Teil meiner Tage verbrachte ich ja sowieso damit, mir vorzustellen, ich wäre jemand anders. Wie anders – besser! – würde sich mein Leben anfühlen, wenn ich kein Mädchen, sondern ein Junge, ein Mann wäre. Ich natürlich nicht daran geglaubt, dass ich morgens einfach als Mann aufwachen würde, aber die Vorstellung war einfach zu verlockend.
Viel von der Komik (und im weiteren Verlauf meist auch der Tragik dieser Filme) speist sich daraus, dass die Protagonisten auf ihre Freunde und Bekannte treffen, die natürlich nicht wissen, wen sie vor sich haben. Die unerkannte Hauptfigur lernt ihre engsten Vertrauten plötzlich neu kennen. Die reden mit ihr nun natürlich anders und gewähren Einblick hinter ihre Fassaden. Die Protagonistin oder der Protagonist erfährt von Geheimnissen und Problemen, von Konflikten und ihrer/seiner Rolle darin, von denen sie/er vorher keine Ahnung hatte.
Es fühlte sich ein bisschen so an, als wäre ich in so einem Film gelandet, als damal .... Aber, der Reihe nach:
1997
Ich war gerade 20 geworden und mit einer Freundin in meine erste WG in Köln gezogen. Ich versuchte zwar schon seit drei Jahren, wie es die Regeln für eine Geschlechtsangleichung vorschrieben, in der Rolle „des angestrebten Geschlechts“ zu leben und sah sehr butch aus, aber mein Körper machte mir immer noch einen Strich durch die Rechnung und meistens ging mein Gegenüber davon aus, ich sei ein „burschikoses Mädel“ (boah, hab ich das gehasst!).
An dem Tag waren Svenja und ich also in unserer Wohnung und ein Mann von der Telekom frickelte im Flur an unserem Telefonanschluss herum, während sich in unsere Küche ein anderer Mann an unserem Durchlauferhitzer zu schaffen machte.
Der Telekom-Mann hatte schon beim Eintreten eine schlüpfrige Bemerkung gemacht, die Svenja und ich schüchtern belächelt hatten. In den 15 Minuten, die er bisher auf den Knien und mit dem Kopf in unserem Wandschrank verbracht hatte, hatte er eine Story nach der anderen rausgehauen. Der Held seiner Geschichte war immer er, die Nebendarstellerinnen junge oder auch nicht mehr „ganz so knackige“ Hausfrauen, die allesamt sexuell völlig ausgehungert waren und sich ihm an den Hals schmissen, sobald er die Wohnung betrat.
Während er da so vor sich hin prahlte, warf er immer wieder ein schmieriges Grinsen in unsere Richtung. Der Heizungsmann lugte hin- und wieder aus der Küche in den Flur und stand zum finalen Höhepunkt der schlüpfrigen Telekom-Tiraden neben uns. Der Telekom-Mann frickelte weiter, genoss die Aufmerksamkeit sichtlich und legte immer wieder nach. Immer wenn der Telekom-Mann grinste, grinste auch der Heizungsmann. Letzterer blieb ansonsten stumm. Mir kamen die beiden trotzdem wie ein eingeschworenes Team vor, ein Wissen teilend, dass etwas mit mir zu tun hatte, mir aber nicht zugänglich war. Nach einer gefühlten Ewigkeit waren Svenja und ich die beiden endlich wieder los.
Ich weiß nicht mehr, ob wir uns hinterher noch über die Situation unterhalten haben. Auf jeden Fall vergaß ich die ganze Geschichte für drei Jahre.
2000
Dann nämlich klingelt es wieder an der Tür. Ich wohne noch in derselben Wohnung. Mittlerweile bin ich nicht nur in meinem Kopf, sondern für alle sichtbar ein Mann. Svenja ist ausgezogen und stattdessen teile ich die Wohnung mit Christine.
Die ist allerdings gerade nicht da. Also öffne ich die Wohnungstür und sehe den Heizungsmann von damals die letzten Stufen in den 3. Stock hochspurten. Als er eintritt sagt er sowas wie: „Wusste ich doch! Ich war schonmal hier, aber der Name auf dem Klingelschild kam mir nicht bekannt vor. Hier haben damals zwei Mädels gewohnt.“
Zuerst muss ich innerlich grinsen, denn auf dem Klingelschild steht ja immer noch mein Nachname, Burchartz, wie damals. Und dann denke ich reflexhaft: „Soll ich was sagen?“ Und dann „Aber was?“
Also sag ich nichts. Und dann kommt er tatsächlich auf den Telekom-Mann zu sprechen! Er erzählt mir, wie damals diese netten jungen Mädels genau hier im Flur standen und dieser krasse Typ von der Telekom da war. Er berichtet mir mit verschämtem Grinsen, dass dieser ziemlich heftige Sex-Stories vom Stapel gelassen und einen auf dicke Hose gemacht habe. Er sagt, wie krass er das fand, dass der Typ vor den Mädels mit so schmierigen Geschichten prahlte. Sowas hätte er noch nie erlebt und er hätte gar nicht gewusst, was er machen soll.
Mir wird klar, dass ihn diese Geschichte noch lange beschäftig haben muss. Und wie es scheint, war er damals genauso überfordert mit der Situation, wie ich. Das, was ich damals als Komplizenschaft gegen uns wahrgenommen habe, war vielmehr Verunsicherung und Hilflosigkeit. Ich versuche die Situation vor meinem inneren Auge noch einmal Revue passieren zu lassen und sehe ihn mit anderen Augen.
Und innerlich wird mein Grinsen diesmal immer breiter, denn ich komme mir tatsächlich vor, wie in einer dieser Hollywood-Komödien! Es ist ein echt schräges Gefühl, wenn dir jemand von einer Situation berichtet, als wärst du nicht dabei gewesen. Aber du warst dabei. Nur weiß dein Gegenüber das nicht. Und er erzählt dir, wie du damals geschaut und was du gesagt hast, aber eben so, als seist nicht du das gewesen. Schräg.
Besonders lustig wird es für mich, als er mich fragt, ob er einen Kaffee kriegen könnte. Bei den Mädels hätte er immer Kaffee bekommen! Ich weiß aus sicherer Quelle, dass das nicht stimmt.